Eine Branche in Schockstarre?!?
Bis vor wenigen Wochen zählten der Besuch von Veranstaltung, das feiern von Festen und ganz generell die Begegnung mit Menschen ganz selbstverständlich zu unserem Leben. Und dann kam Corona. Und dann sollte das vorerst nicht mehr möglich sein. Wir haben mit Stefanie Gründl (Stefanie Gründl advisory) gesprochen um eine Idee davon zu bekommen, wie sich die Veränderungen anfühlen!
Wie geht es Dir aktuell und wo bist Du gerade?
Seit letzter Woche bin ich wieder in Wien. Davor habe ich mich – und das war und ist wohl auch ein gewisser Luxus – aufs Land in der Südsteiermark, zurückziehen können. Dort hat man, wenn nicht über die Medienberichterstattung, eigentlich wenig von einer „Krise“ wahrgenommen. Darf man das überhaupt (laut) sagen, in diesen Tagen: Danke der Nachfrage, mir geht’s gut. Wirklich gut. Mein tiefes Verständnis und die jahrzehntelange Erfahrung mit Krisen, Veränderungs- und Entwicklungsprozessen macht sich jetzt bezahlt.
Das letzte Mal als wir gesprochen haben, warst du mitten in den Vorbereitungen zur MIA (Anm.: Mission Innovation Austria Week des Bundesministeriums für das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie). Wie schnell war klar, dass sie nicht stattfinden wird? Hat Corona Dich und auch Deine Kunden plötzlich getroffen oder warst Du/wart Ihr in irgendeiner Weise vorbereitet?
Bislang habe ich niemanden getroffen, der auf Corona vorbereitet war. Du? Anfang März hat ein Kunde aus London ein gemeinsames Projekt auf 2021 verschoben. Das war für mich das erste Anzeichen, dass dieses Jahr nicht wie geplant verlaufen wird. Die MIA zeichnet sich nicht zuletzt durch die vielen Partner und AkteurInnen aus, die bei dem Forum mitwirken. Entsprechend viele Meinungen und Diskussionen begleiteten den Entscheidungsfindungsprozess: Verschiebung auf Herbst 2020 oder doch ins Frühjahr 2021? Völlig neu für uns alle war die Unsicherheit, wie lange uns diese Krise und der Virus begleiten werden. Heute können wir festhalten, dass es die richtige Entscheidung war, die MIA auf das Frühjahr 2021 zu verschieben.
Eine Branche in Schockstarre? Oder war sofort klar, dass man Lösungen braucht?
Die Veranstaltungsbranche ist, ähnlich wie der Tourismus, natürlich besonders betroffen. Ende Februar hat das event marketing board Austria (emba) die Branchen-KollegInnen zu einem einzigartigen Klassentreffen in der Gösserhalle in Wien geladen. Damals berichtete ein langjähriger Partner von ersten Stornos und der Sorge, dass sein wichtigstes und größtes Projekt abgesagt wird – eine Kulturveranstaltung im Spätsommer. Dass dieser jährliche Fixpunkt im Kulturkalender 2020 nicht aufscheinen sollte, das war für mich zu diesem Zeitpunkt wahrlich unvorstellbar. Wenige Tage später sollte die Branche „zum operativen Nichtstun verdammt“ werden, wie es der emba-Vorstand letztens treffend formulierte.
Das sind MacherInnen, UmsetzerInnen. Für sie ist diese Situation völlig neu, ungewohnt, unbequem. Dass man auch einmal nichts tut, ist in unserer Gesellschaft – leider – nach wie vor nicht vorgesehen, die Leere ist schwer auszuhalten. Doch die Leere kann Nährboden für das Neue sein, für die ganz großen Erfolge. Ein prominentes Beispiel dafür ist Stefan Sagmeister (Anm.: in New York lebende, österreichische Design-Ikone), mit dem ich übrigens gemeinsam mit einem Kollegen im Spätsommer auf exklusive Österreich Tour gegangen wäre – aufgrund der (Ein)Reisebeschränkungen haben wir das nun auch auf 2021 verschoben. Stefan nimmt sich alle sieben Jahre ein Sabbatical. Vielleicht ist es einigen KollegInnen möglich, sich auf eine kreative Schaffenspause und Auszeit einzulassen. Das ist eine Lösung. Eine andere: die Möglichkeiten der Digitalisierung zu nutzen…
Apropos Digitalisierung: Die MIA hat ja dieses Jahr dann doch noch digital stattgefunden. Also Teile davon. Sind Online-Events the next big-thing? Wie schätzt Du das Potential ein? Gewöhnt sich der Konsument dran oder wird die Teilnahme sinken? Was ist mit der Experience die auf so vielen Veranstaltungen wichtig sind? Kann man die Online in irgendeiner Weise gestalten?
Von jeher hatte der Mensch das Bedürfnis, Feste zu feiern. Solche Feste waren damals und sind auch heute noch ein Lichtblick im Leben, denn sie durchbrechen die tägliche Routine. Feste holen uns aus unserem Alltag heraus und sind in der Lage, die menschlichen Sinne einmal für ganz andere Dinge zu schärfen. Was für Feste gilt, gilt für jede Art von Veranstaltung und immer dann, wenn Menschen physisch zusammen kommen. Es geht um Emotionen, Gefühle, gemeinsame Erfahrungen und diese großartige Energie, die erst, und nur dann entsteht, wenn Menschen sich real begegnen. Diese Bedürfnisse und Sehnsüchte können Online-Events meiner Meinung nach nicht zur Gänze subsituieren.
Die Innovativen in der Branche nutzten auch vor der Corona Pandemie modernste technologische und digitale Möglichkeiten, die nicht nur das Klima (der Speaker wird nicht für die Keynote aus dem Silicon Valley nach Berlin eingeflogen; die Event-App bündelt Informationen und unterstützt das Netzwerken) sondern auch das Budget schonen. Mit virtuellen Streaming Studios, virtuellen 3D Räumen, interaktiven 3D Elementen, VR Erlebnissen oder Augmented Reality können in Zukunft sicherlich beeindruckende Erlebnisse geschaffen werden. Außerdem generieren wir mehr Reichweite, mehr Menschen können virtuell dabei sein. Das Digitale kompensiert jedoch das Physische nicht. Die Radprofis, die erstmals die 32km der „Ronde van Vlandeeren“ zuhause in den eigenen vier Wänden auf dem Rollentrainer absolvierten und online gegeneinander radelten, berichteten von einem „super Erlebnis“. Beim ersten Mal ist vieles aufregend, nicht wahr? Der Sieger meinte am Ende: „Wir freuen uns schon wieder auf die Rennen draußen.“
Wir müssen weiterhin die richtigen und wichtigen Fragen stellen. Die Frage, was bei einer Veranstaltung digitalisiert werden kann ist nur eine davon!
Wie siehst Du Deine persönliche Zukunft? Veranstaltungen gehören ja zu den Dingen, die vermutlich noch etwas länger nicht in gewohnter Weise stattfinden werden. Wie stark trifft Dich das und wie verändert Dich das bzw. wie verändert das Dein Aufgabengebiet?
Ich begleite und berate Führungspersönlichkeiten im In- und Ausland immer dann, wenn es um Veränderung, Entwicklung und Fortschritt geht. Oft sind das Pionieraufgaben, anfangs liegt ein leeres Blatt Papier vor mir. Mehr denn je werden wir neue Konzepte brauchen, gewohnte Pfade verlassen, uns von „altbewährten“ Patentrezepten und allgemeingültigen Gebrauchsanleitungen verabschieden müssen. Das erfordert Mut und die Bereitschaft, sich auf „das Neue“, das zugleich auch unsicher und unberechenbar ist, einzulassen. Veränderung ist am Anfang schwer, da nehme ich ein unterschiedliches Tempo und eine unterschiedlich hohe Schmerztoleranz wahr…
Das „paperless home office“ bin ich gewohnt, ebenfalls die Führung von Remote-Teams. Ich bin davon überzeugt, dass eine strategisch-kooperative Arbeitsweise in Netzwerkstrukturen an Bedeutung gewinnen wird. Vom Silo-Denken und inflationär verwendeten Buzzwordsdürfen wir uns verabschieden. Für zeitgemäße Erfolgsgeschichten werden wir projektbezogen Teams zusammenstellen, deren Mindset von einer ganzheitlichen Weit- und Weltsicht geprägt ist.
Liebe Steffi, DANKE für Deine Insights! Es war wie immer eine Inspiration mit Dir zu plaudern 🙂
Christa Kloibhofer-Krampl